Wer in einem chinesischen Restaurant schon einmal die „Pekingsuppe“ bestellt hat, erinnert sich wahrscheinlich an diesen ganz bestimmten Moment: ein Löffel voll heißer Brühe, ein überraschendes Prickeln auf der Zunge, eine angenehme Säure, etwas Süße und eine wohltuende Schärfe. Diese Suppe ist alles andere als zurückhaltend – sie weckt die Sinne und wärmt von innen. Und in diesem Rezept nochmal ganz besonders durch die Verwendung von Stockschwämmchen, den besten aller Suppenpilze. Aber woher kommt die Pekingsuppe sie eigentlich? Und was macht sie so besonders?
Ein Klassiker ohne klaren Ursprung
Der Name lässt vermuten, dass die Suppe aus Peking (Beijing) stammt. Tatsächlich ist das eher ein Marketing- oder Übersetzungsprodukt als eine geografische Wahrheit. In der traditionellen nordchinesischen Küche spielt diese Art von Suppe kaum eine Rolle. Vielmehr stammt die moderne „Pekingsuppe“, wie sie in westlichen Restaurants bekannt wurde, aus der südchinesischen bzw. kantonesischen Küche, insbesondere aus Hongkong und Umgebung.
Mit der Verbreitung chinesischer Restaurants in aller Welt – besonders ab Mitte des 20. Jahrhunderts – hat sich die süß-sauer-scharfe Suppe zu einem echten Exportschlager entwickelt. Sie bedient genau jene Aromen, die auch außerhalb Chinas gut ankommen: süß, sauer, würzig, kräftig und trotzdem ausgewogen. Die Version, die wir heute kennen, ist also ein Produkt der globalen chinesischen Restaurantkultur – ein Gericht, das in China zwar Wurzeln hat, aber durch internationale Einflüsse geformt wurde. Aber spielt das eine Rolle? Sie ist vor allem verdamm lecker, erst Recht mit Stockschwämmchen!
Zwischen Säure, Süße und Schärfe – die Kunst der Balance
Was die Pekingsuppe wirklich auszeichnet, ist ihr Spiel mit Gegensätzen. In ihr treffen Säure, Süße, Schärfe und Umami aufeinander – und zwar so, dass keine Note zu dominant wirkt. Oder eben doch, wie man es halt mag.
- Säure: meist aus chinesischem schwarzem Essig* (Chinkiang-Essig) oder Reisessig. Sie sorgt für Frische und Tiefe.
- Süße: ein Hauch Zucker, manchmal auch Honig, gleicht die Schärfe aus.
- Schärfe: klassisch kommt sie von weißem Pfeffer oder Chiliöl, in Sichuan-Versionen auch vom berühmten Szechuan-Pfeffer mit seinem leicht betäubenden Aroma.
- Umami: kräftige Brühe (Huhn, Schwein oder Gemüse), Sojasauce, Pilze und manchmal fermentierte Zutaten sorgen für Tiefe.
Das Zusammenspiel dieser Elemente ist eine kleine Gratwanderung. Zu viel Säure – und sie schmeckt spitz. Zu viel Zucker – und sie wirkt seifig. Die perfekte Peking-Suppe bleibt lebendig, komplex und rund.
Die typische Basis – und warum die Textur zählt
In China spielt nicht nur der Geschmack, sondern auch das Mundgefühl eine große Rolle. Eine gute Peking-Suppe ist leicht sämig, nicht zu dünn und nicht zu dick. Diese Konsistenz entsteht durch etwas Mais- oder Tapiokastärke, die der Brühe eine seidige Struktur gibt.
Dazu kommen meist:
- feine Bambussprossen,
- Holzohr- oder Shiitake-Pilze in der klassischen Version, hier: Stockschwämmchen.
- zarte Streifen von Tofu oder Fleisch. Darauf verzichten wir, die Pilze haben alles was wir brauchen.
- manchmal ein verquirltes Ei, das beim Einrühren in die heiße Suppe feine Fäden zieht.
Diese Mischung aus weichen, knackigen und glatten Texturen macht jede Löffelbewegung interessant – man schmeckt, riecht und spürt die Suppe zugleich.
Der Stockschwämmchen – ein unterschätzter Star in der Peking-Suppe
Wenn du die Peking-Suppe vegetarisch oder vegan zubereiten möchtest, lohnt es sich, über den Einsatz des Stockschwämmchens (wissenschaftlich: Kuehneromyces mutabilis) nachzudenken. Dieser Pilz, der auf alten Baumstämmen von Laubbäumen, gerne Buche, oder abgestorbenem Holz wächst, ist in Europa heimisch und gehört zu den aromatischsten Speisepilzen überhaupt – sofern man ihn mit sicherer Hand erkennt, denn er hat ungenießbare und vor allem einen hochgiftigen Doppelgänger, den Gifthäubling. Wer Stockschwämmchen selbst sammelt, der sollte sie unbedingt sicher bestimmen können und vor allem bei jedem Pilz auf den braunen, faserig-schuppigen Stiel achten.
In der Küche zeigt das Stockschwämmchen eine außergewöhnliche Wandlungsfähigkeit. Beim Anbraten entfaltet es einen intensiven, fast nussigen Duft mit leicht würziger Tiefe. In Brühen und Suppen dagegen gibt er einen fein-herzhaften Umami-Geschmack ab, der an Fleisch oder getrocknete Shiitake erinnert, aber dabei erstaunlich leicht bleibt. Genau das macht ihn perfekt für eine pflanzliche Version der Pekingsuppe: Er bringt Struktur, Geschmack und Tiefe – ohne dass man Fleisch oder Brühe vermisst.
Ein weiterer Vorteil: Die leicht gelatineartige Konsistenz seiner Hüte behält auch in heißer Brühe Form und Biss. So entstehen beim Löffeln kleine geschmackliche Inseln, die sich wunderbar mit der Säure und Schärfe der Suppe verbinden. Besonders, wenn du die Suppe mit Reisessig und einer kräftigen Gemüsebrühe kochst, harmoniert das erdige Aroma des Pilzes ideal mit der süß-sauren Basis.
Kurz gesagt: Der Stockschwämmchen ist ein echter Geheimtipp – nicht nur für Sammler, sondern für alle, die Suppen lieben, die Tiefe und Charakter haben. Ein Löffel, und du wirst verstehen, warum dieser Waldpilz in einer asiatisch inspirierten Suppe erstaunlich gut funktioniert.
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Varianten und regionale Unterschiede
Wie bei vielen beliebten Gerichten gibt es nicht die eine Pekingsuppe, sondern zahlreiche Varianten – je nach Region, Koch oder persönlicher Vorliebe.
1. Die klassische „Hot & Sour Soup“
In China, Hongkong oder auch in den USA ist die klassische Variante oft klarer im Geschmack: mit Schweinebrühe, Bambussprossen, Holzohren, Shiitake, Tofu, Essig und weißem Pfeffer. Sie wird leicht gebunden und mit einem Schuss Chiliöl oder Sesamöl serviert.
2. Vegetarische und vegane Versionen
Hier ersetzt man die Fleischbrühe durch eine kräftige Pilz- oder Gemüsebrühe. Shiitake oder getrocknete Pilze geben genug Umami, um das Fleisch gar nicht zu vermissen. Auch Tofu oder Seitan sorgen für Substanz.
3. Die europäische Restaurantversion
In vielen deutschen oder europäischen Chinarestaurants wird die Suppe etwas süßer serviert – oft mit einem Schuss Tomatenmark oder Ketchup und manchmal sogar Ananasstückchen. Das entspricht weniger der traditionellen Hot-and-Sour-Soup, ist aber ein gutes Beispiel für die Anpassung an lokale Geschmäcker.
4. Sichuan-Stil
Wer es intensiver mag, greift zur Sichuan-Variante: mit reichlich Chili, fermentierten Bohnen, Szechuan-Pfeffer und einem Aroma, das in Nase und Lippen kribbelt. Diese Version ist nichts für Zartbesaitete – aber sie zeigt, wie unterschiedlich dieselbe Idee interpretiert werden kann.
Tipps, wenn du sie selbst kochen willst
- Verwende möglichst schwarzen chinesischen Essig (Chinkiang) – er hat eine angenehme Tiefe. Hatte ich hier leider nicht, sondern nur Reisessig, aber de Tipp lohnt sich.
- Die Brühe ist das Fundament – je kräftiger, desto besser.
- Wenn du sie vegetarisch machst, gib getrocknete oder Pilze in die Brühe; das gibt Würze, so wie hier die Stockschwämmchen.
- Nicht zu dick binden – sie soll geschmeidig, nicht puddingartig sein.
- Experimentiere mit Schärfegraden – lieber leicht scharf und aromatisch als einfach nur feurig.
Fazit: Eine Suppe mit Charakter
Ob du sie als wärmenden Start in ein Menü oder als schnelles Alltagsgericht isst – die Pekingsuppe ist ein Paradebeispiel für chinesische Geschmacksharmonie. Sie ist intensiv, aber nie überladen. Sie wärmt, belebt und überrascht immer wieder aufs Neue. Und vielleicht ist genau das ihr Erfolgsgeheimnis: Sie verbindet Gegensätze auf die leckerste Art. Hier nun also mein Rezept mit Stockschwämmchen. Viel Spaß beim Nachkochen.
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Chinesische Süß-sauer-scharfe Suppe (Pekingsuppe) mit Stockschwämmchen
- Zeit insgesamt: 25 Minuten
- Portionen: 2 Personen 1x
Zutaten
1 EL Öl (z. B. Sesam- oder Erdnussöl)
1–2 Knoblauchzehen, fein gehackt
1 kleines Stück Ingwer, fein gehackt
150 g Stockschwämmchen, alternativ: Shiitake
1 kleine Karotte, in feinen Streifen
1 Handvoll Bambussprossen (aus dem Glas), in Streifen
800 ml Gemüsebrühe
2 EL Sojasauce
2–3 EL Reisessig (oder Weißweinessig)
1–2 TL Chiliöl oder etwas Chilipaste
1 TL Zucker
1 EL Speisestärke + 2 EL Wasser (zum Andicken)
1 Ei, verquirlt
Frühlingszwiebeln zum Garnieren
Anleitung
Öl erhitzen, Knoblauch und Ingwer kurz anbraten.
Pilze, Karotten und Bambussprossen zugeben, 2–3 Minuten mitbraten.
Brühe, Sojasauce, Essig, Chiliöl und Zucker hinzufügen.
Etwa 10 Minuten leicht köcheln lassen.
Stärke-Wasser-Mischung einrühren → leicht eindicken lassen.
Wer mag: Das verquirlte Ei langsam in die heiße Suppe gießen und leicht verrühren, sodass feine „Eifäden“ entstehen.
Mit Frühlingszwiebeln und etwas zusätzlichem Essig/Chili abschmecken.
- Zubereitungszeit: 10 Minuten
- Kochzeit: 15 Minuten
- Kategorie: Suppe
- Methode: Kochen
- Küche: Chinesisch
